Meine Mutter - ein Stück Geschichte zu: GEDICHTE


Ihr Name ist der Welt unbekannt, nur der hinterbliebenen Familie nicht. Ich bin ihr jüngstes Kind und mittlerweile auch schon über fünfzig Jahre alt. Meine Mutter wäre in diesem Jahr 91 Jahre alt, lebte sie noch. Sie starb aber schon 1994. Da war sie vierundsiebzig.

 

Schon in ihrer Jugend begann sie zu schreiben und einer ihrer Freunde, der damals in Grimma/ Sa. Schüler der Fürstenschule war, später Autor in Erftstadt bei Köln (Fried Noxius) begeisterte sie dafür, ihre Gedichte auch zu veröffentlichen.

 

1936, falls ich das Jahr richtig weiß, nahmen beide gemeinsam am Sachsenwerk-Wettbewerb teil und gewannen den 2. Preis. Dieser bestand aus einer Reiseschreibmaschine "Mercedes Superba", die sogar ich noch kennenlernte, um auf ihr meine ersten Schreibversuche zu machen.

 

Meine Mutter, geb. 1920, besuchte nach der üblichen Schulausbildung das Theresenhaus in Grimma. Eine Schule für Mädchen aus Familien, die man damals oft auch als sogenannt "höhere Töchter" bezeichnete.

Dazu gehörte meine Mutter allerdings nicht. Sie war eine "Bürgerliche", da wiederum ihre Mutter, meine fleißige Oma, Damenmaßschneiderin war und so oft als möglich für die "bessere Gesellschaft" arbeitete.


Während ihrer Theresenhaus-Zeit, in der meine Mutter wahrlich viel lernte: Kochen, Servieren, Bevorratung von Lebensmitteln etc., Haushaltführung inkl. wirtschaftliches Rechnen, Kleinviehzucht (Gänse für die gute Küche), Gartenarbeit usw., schrieb sie schon für das "Grimmaer Tageblatt".


Als sie dann mit ca. siebzehn Jahren meinen Vater kennenlernte, inspirierte sie ihre junge Liebe, am Schreiben dranzubleiben.  Dann kam der Krieg, trennte beide für lange. Manchmal kam mein Vater auf Heimaturlaub.

Meine Geschwister wurden 1941 und 1945 geboren. Unsere Familie aber lebte dann schon nicht mehr in Grimma, sondern auf dem Land, unweit Leipzig/ Schkeuditz dort, wo heute ganz nahe der bekannte Flughafen Halle-Leipzig sich ausweitet.


Auch während des Krieges schrieb meine Mutter, sofern ihr Arbeit, Luftalarm und Hauswirtschaft Zeit dafür ließen. Immer schrieb sie von Hand in Hefte A-5, die auch heute noch, z.T. aber mäßig abgenutzt und paar lose Blätter dabei, erhalten sind und zu meinem Erbe gehören.

Meine Mutter pflegte ein "melodisches Schreiben". So nenne ich es vor mir immer. Sie befasste sich mit ganz vielen Themen des Alltags und der Gesellschaft, setzte sich teilweise auch recht kritisch damit auseinander.

 

Nach dem Krieg lebten wir alle in der DDR und es gab in den fünfziger Jahren dort auch eine Friedensbewegung und "Friedenskomitees". Meine Mutter arbeitete mit und fuhr über Land, Referate für den Frieden und Wiederaufbau halten, oft bis spät in die Nacht. Sie trat dem "Zirkel schreibender Arbeiter" bei, begann ein Fernstudium für die Schriftstellerei und lernte dabei auch die später recht bekannten Autoren Werner Lindemann und Werner Bräunig (s. Wikipedia.org.) kennen.

Die literarische Arbeit in der Gruppe mit anderen tat dem Schreiben meiner Mutter sehr gut und beflügelte sie. In damals entstandenen Gedichten festigten sich ihre Standpunkte und Ansichten, ihre Weltsicht. Die Erlebensgeschichte meines Vaters, der inzwischen aus der Gefangenschaft gekommen war, trug auch dazu bei. Doch vor allem liebte meine Mutter es, Positives auszudrücken und sie hatte ein sehr gutes Reimempfinden, was bei anspruchsvoller Lyrik nicht immer leicht umzusetzen ist.

Nebenher entstanden auch mal "Alltagsgedichte", doch legte meine Mutter großen Wert auf gute Inhalte dessen, was sie schrieb. Das waren fast ausschließlich immer Verse, kurz oder lang, manchmal insgesamt sehr umfangreich, hinterließ sie zirka 300 Gedichte in Handschrift, da sie sich bis ins Alter hinein nie Zeit genommen hatte, diese mit der Schreibmaschine abzutippen.

 

Es gab noch eine andere Eigenart bei ihr:

 

Meine Mutter "bearbeitete" ihre Gedichte selten. Die meisten flossen aus ihr wie "in einem Guss". Ich kannte Tage in meiner Kindheit, da ließ sie einfach stehen, was sie gerade vor sich hatte oder in den Händen hielt und lief zum nächsten Tisch, auf dem immer Papier/ Heft und mindestens ein Bleistift oder Kugelschreiber für sie bereit lagen.

 

Als ich heranwuchs, besprach sie auch einen Teil ihrer Gedichte mit mir. So bin ich frühzeitig zum Schreiben gekommen. Sie lehrte mich auch Schreibtechniken und Stilistik, so gut sie selbst diese kannte und umsetzte.

 

Im Gegensatz zu meiner Mutter allerdings bearbeite ich fast alle meine Gedichte und Texte, oft so lange, bis ich ganz zufrieden bin und sie unbedingt aussagen, was ich ihnen geben möchte.

 

Vielleicht mag ich die Gedichte meiner Mutter nicht nur, weil sie mich geboren hat, ich ihr Kind bin, sondern dieses Unterschiedes wegen, der uns immer vereint und gemeinsam begeistert hat.

 

Ich erinnere besonders gern Gedichte von ihr mit folgenden Titeln:

 

Meine Pfingstorgel - Herzblättchen - Sorge dafür - Kleine Stadt

 

(Christliche Lyrik -  Liebeslyrik - Friedenslyrik- Hommage an Stadt Grimma)

 

Meine Mutter schrieb aber auch Gedichte, die sich mit dem Krieg auseinandersetzen, mit Leben oder Tod, menschlichen Eigenschaften, mit den Jahreszeiten und vielem mehr.

 

Inzwischen habe ich diesen Nachlass kopiert, damit die Urschriften nicht weitere Schäden erleiden durch Umgang und Lagerung.

 

Alle Gedichte, so viel meine Mutter von ihrem geistigen Eigentum aufbewahrt hat, sind erhalten geblieben und leider bis heute unveröffentlicht...

 

 



Sascha-Kai Böhme

(Erstveröffentlichung online 01.09.09 by skb08/09 )

 

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